SALZBURGER FESTSPIELE 2024: „Persönliche Sternstunden“

10.07.2024

Einblicke ins Jugendprogramm jung&jede*r und die diesjährige Oper für Kinder

TerrassenTalk jung & jede*r Ursula Gessat, Anna Handler, Giulia Giammona (c) SF:Neumayr:Leo
TerrassenTalk jung & jede*r

Seit Frühjahr 2021 ist Ursula Gessat als Education Managerin der Salzburger Festspiele im Amt. Über das Konzept des diesjährigen Jugendprogramms jung&jede*r im bereits vierten Sommer erzählt sie: „Unsere erste Premiere hat mit dem Schauspiel für Kinder Liebe Grüße…oder Wohin das Leben fällt schon am 15. März stattgefunden, die zweite etwa vier Wochen später mit dem Musiktheaterstück Zeitzone JETZT.“ 

Unter dem Titel „Von Abtenau bis Zell am See“ werden diese mobilen Produktionen als Tourgastspiele an verschiedenen Orten gezeigt – mit der Idee, bis hinaus aufs Land zu gehen, um Kinder und Jugendliche auch dort und außerhalb der Ferienzeit zu erreichen. 

„Wir haben schon jetzt 19 Gastspiele an 15 Spielorten gegeben und bereits rund 2000 Kinder an 28 Schulen erreicht, fast 30 Workshops und Nachgespräche mit Vermittlerinnen haben vor den Vorstellungsbesuchen bereits stattgefunden“, berichtet Ursula Gessat weiter und ergänzt: „Uns ist es wichtig, dass wir das junge Publikum von heute erreichen, dass die Kinder und Jugendlichen im Hier und Jetzt Teil des Festspielpublikums werden“.

Weitere 24 Vorstellungen der Oper für Kinder und der beiden mobilen Produktionen kommen im Sommer hinzu, inzwischen im dritten Jahr hat sich das Schauspielhaus als Kinder- und Jugendspielstätte bewährt. Zugleich betont Ursula Gessat den Wunsch, Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten zu bieten, um selbst mitzumachen und sich mit eigenen Ideen zu präsentieren: „Seit 2006 gibt es die mittlerweile schon traditionellen Operncamps, in denen die Kinder und Jugendlichen eine Woche in Schloss Arenberg verbringen und an deren Ende eine eigene Aufführung steht – in diesem Jahr zu den Opern CapriccioDer Idiot und Hoffmanns Erzählungen“. Neu hinzu gekommen sei in diesem Jahr das Format Schauspielcamp, das sich mit Stefan Zweigs Sternstunden der Menschheit auseinandersetzt, den Teilnehmern aber auch die Perspektive eröffnet, ihre ganz persönlichen Sternstunden zu definieren.

An die diesjährigen Hausproduktionen und Festspielinhalte wird junges Publikum bereits im dritten Jahr durch die Festspielpatenschaften herangeführt, in deren Rahmen erfahrene Festspielgänger gemeinsam mit jungen, erstmaligen Festspielgästen eine Vorstellung besuchen. Insgesamt 6000 vergünstigte Jugendkarten für Oper, Schauspiel und Konzert werden auch heuer für junges Publikum bis zum 27. Lebensjahr angeboten, ergänzt durch Jugendeinführungen und Künstlergespräche.

Herzstück des jung&jede*r-Programms ist die Oper für Kinder. „Wir befinden uns derzeit in der dritten Probenwoche“, sagt Ursula Gessat, „mit dem bewährten Team aus dem Vorjahr – Regisseurin Giulia Giammona und unter der musikalischen Leitung von Anna Handler – haben wir gemeinsam Carl Orffs Die Kluge ausgewählt. Worauf die musikalische Entscheidung für dieses Werk beruhe, möchte sie von Anna Handler wissen. „Für mich ist Die Kluge ein besonderes Fundstück insofern, als es sich in 12 Szenen gliedert, in denen sich gesprochene Dialoge und Musik als ein dramaturgisches Prinzip abwechseln, das Orff sehr gut durchdringt: Durch diesen Wechsel steigern sich aufeinander aufbauend Handlung und Emotionen“, beschreibt sie die Struktur des Werks. Die Kluge sei eigentlich kein Kinderstück, erklärt sie weiter. Die Herausforderung habe daher darin bestanden, Orffs Oper für Kinder umzuschreiben, sich in deren Welt hineinzuversetzen und zu fragen, welche Botschaft es für junges Publikum bereithält. 

„Bei Orff denkt man im ersten Moment oft an Carmina Burana und große Besetzungen. Ursula Gessat hat die 2019 während der Pandemiezeit geschaffene reduzierte Fassung der Klugen von Paul Leonard Schäffer und Wilfried Hiller, einem Schüler Carl Orffs entdeckt“, erklärt Anna Handler – im Ergebnis sowohl eine Verschlankung und Verdichtung gegenüber dem Original, wie sie findet. 

Die drei Rätsel, die die Kluge zu lösen habe, fänden sich dabei auch immer wieder in der Musik: „Es gibt sehr viele Symbole und Anspielungen, z.B. auf Mozarts Entführung aus dem Serail und Le nozze di Figaro, oder auf Humperdincks Hänsel und Gretel. Immer wieder kann sich der Zuhörer hier auch fragen: Was will Orff mir mit diesen Zitaten sagen?“.

Von Ursula Gessat auf die inhaltlichen Hauptmerkmale angesprochen, sagt Giulia Giammona: „Seinen Ursprung hat der Stoff im Märchen der Brüder Grimm, die sich ihrerseits wiederum verschiedener Quellen aus anderen Kulturen bedient haben. Eine spezielle Faszination geht für mich auch von der weiblichen Hauptfigur aus, die für Klugheit und Intelligenz steht“. Es gehe aber auch um deren Verhältnis zu den anderen Figuren im Stück, beispielsweise zu ihrem Vater, der am Ende Reue über die Unterschätzung seiner Tochter zeigt. 

Um das nicht explizit als Kinderoper geschriebene Stück zum Kinderstück zu machen, sei zum besseren Verständnis eine Bearbeitung des Librettos notwendig gewesen, sagt Ursula Gessat. „Wir haben dafür die junge österreichische Autorin Armela Madreiter mit einer Neufassung – vor allem der Dialoge – beauftragt, die in enger Zusammenarbeit mit Giulia Giammona, Anna Handler und der Dramaturgin entstanden ist“.

Was genau sich neben der Besetzung verändert habe, möchte sie von der Regisseurin wissen. „Wir wollten den Fragen auf den Grund gehen: Was hat die Handlung mit uns heute zu tun? Worum geht es Orff in der Geschichte? Was wird in dem Stück verhandelt? Eine Besonderheit des Stücks liegt darin, dass es fast zur Hälfte ein Schauspiel ist. Es gibt sehr viele Dialoge. In der gesungenen Sprache haben wir weitgehend die Originaltexte von Orff beibehalten. In den gesprochenen Szenen haben wir dagegen Veränderungen vorgenommen, uns ging es uns darum, Verständlichkeit durch Identifikation zu schaffen, um auch jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, die Reise der Klugen mitzumachen“. Und Anna Handler ergänzt: „Wertschätzung wollen wir der Sprache des Librettos, das Orff selbst geschrieben hat, durch besonders hohe Textverständlichkeit entgegenbringen. Mir persönlich gefällt besonders eine Änderung, die wir im Zusammenhang mit den Rätseln am Ende der Klugen vorgenommen haben: Zusätzlich zu den musikalischen Anleihen hat Orff Bezug auf das Shakespeare-Stück Troilus und Cressida genommen. In Abwandlung dazu ist eine gleichzeitige Verbindung von Lieben und Klugheit nicht nur Gott vorbehalten. Bei uns schließt sich diese Verbindung nicht aus – im Gegenteil: wir wollen sie zu einem Muss für die Menschen auf dieser Welt erheben.“

 

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