Salzburger Festspiele halten an ihrem Logo fest
28.10.2020
Die Salzburger Festspiele wollen sich angesichts ihres 100-Jahr-Jubiläums der laufenden Diskussion zu der Malerin und Grafikerin Poldi Wojtek stellen. Wojtek hat 1928 das Emblem für die Salzburger Festspiele gestaltet, das seither – mit Ausnahme der Zeit des Nationalsozialismus – das Festspiellogo ist. An ihrer Person, die sich später dem Nationalsozialismus angedient hat, zeigt sich geradezu exemplarisch der Konflikt zwischen der moralischen Verantwortung des Künstlers und dem künstlerischen Wert seiner Werke.
Die Festspiele haben daher zwei Gutachten mit der Aufarbeitung dieses Kapitels der Festspielgeschichte beauftragt: Prof. Oliver Rathkolb ging der politischen Entwicklung Wojteks nach und dokumentierte akribisch die tiefbraunen Spuren in der Biografie der Künstlerin, bis hin zur Durchsetzung der Arisierung des Hauses ihrer Künstlerkollegin Helene von Taussig.
Dr. Anita Kern begutachtete die künstlerische Entwicklung, insbesondere den künstlerischen Wert des Logos. Dabei zeigte sich deutlich, dass die bei so bedeutenden Künstlern wie Josef Hoffmann und Franz Cizek ausgebildete Grafikerin in der Entstehungszeit des Festspielemblems „grafisch und zeichnerisch auf der Höhe der Zeit“ (Kern) war. Ihre Anbiederung an den Nationalsozialismus nach 1936 führte hingegen auch zu qualitativen Einbußen.
Ursprünglich wollten die Festspiele mit diesen beiden Gutachten die weltweit bestehende und grundlegende Diskussion fortführen, wie qualitativ hochstehende Kunstwerke von politisch bedenklich handelnden Künstlern zu bewerten sind. Dies hat die Pandemie leider im vergangenen Frühjahr verhindert. Diese Publikation soll daher nur der erste Schritt sein. Für 2021 werden die Festspiele das geplante Symposium jedenfalls durchführen. Die Salzburger Festspiele wollen das Jubiläum zum Anlass für weitere wissenschaftliche Recherchen zu ihrer Vergangenheit nehmen – und selbstverständlich die dunklen Kapitel dabei nicht ausklammern.
Die Grafikerin Poldi Wojtek schuf 1928 jenen Plakatentwurf, der seither als Logo der Salzburger Festspiele – mit Ausnahme der Zeit des Nationalsozialismus – dient. Anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums beauftragten die Salzburger Festspiele zwei Gutachten mit der Aufarbeitung dieses Kapitels der Festspielgeschichte.
Der Historiker Oliver Rathkolb wurde mit einem „Gutachten über die Beziehungen von Leopoldine (Poldi) Wojtek(-Mühlmann) mit Nationalsozialisten 1933 – 1938 – 1945 und etwaige Kontinuitäten ideologischer Einstellungen zum NS-Regime nach 1945“ beauftragt.
„Poldi Wojtek war – frei nach dem Humanisten Ulrich von Hutten – ein ,Mensch in seinem Widerspruch‘. Wir müssen lernen, dass Künstler und Künstlerinnen trotz ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten und ihrer Begabung, Emotionen in uns anzusprechen, letztlich keine perfekten Genies sind. Auch sie sind Menschen mit vielfältigen Schwächen, die sich nur selten gegen politisch Mächtige in einer totalitären Diktatur stellen. Manche von ihnen, wie Poldi Wojtek, haben während des Nationalsozialismus überdies ohne jede Scham persönliche Vorteile aus ihren politischen Beziehungsnetzwerken gezogen – bis hin zur hemmungslosen Bereicherung am Eigentum von Jüdinnen und Juden“, sagt Oliver Rathkolb.
Die Designhistorikerin Anita Kern untersuchte die ästhetische Einordnung des Plakatentwurfs.„Grafikdesigner haben die Inhalte ihrer Auftraggeber visuell zu kommunizieren. ,Gebrauchsgrafiker‘ gehören einem Berufsstand an, der in einem verbrecherischen Regime schnell in Gewissenskonflikte kommt, wenn er Auftragsarbeiten annimmt. Nicht jede(r) hatte die Kraft zu widerstehen (oder gar politischen Widerstand mit grafischen Mitteln zu leisten). Die Folgen eines solchen Dilemmas für die Qualität der grafischen Erzeugnisse zeigen sich bei mehreren Designern – in Poldi Wojteks Fall hat die Einordnung in ein unmenschliches System auch den grafischen Esprit zunichte gemacht“, resümiert Dr. Anita Kern.
Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler zur Logo-Diskussion: „Was bedeutet es für die Festspiele, wenn eine Künstlerin, die 1928 ein Plakat entwarf, das sich seither als Logo der Festspiele bewährt hat – nur die Nazis entfernten es von 1938-45 – zwar nicht Mitglied, aber eindeutig Profiteurin des Naziregimes wird? Wenn diese Poldi Wojtek sich dann auch noch schamlos ein arisiertes Haus ihrer im Konzentrationslager umgekommenen Künstlerkollegin Helene von Taussig schenken ließ?Wir sind uns einig geworden, dass wir an diesem Logo festhalten wollen, weil es ein sehr gutes, zeitloses Logo ist.Es spiegelt mitnichten die Symbolik der Nazi-Zeit wider. Im Gegenteil, das Logo wurde im Geiste der international anerkannten Wiener Kunstgewerbeschule geschaffen, Wojteks Lehrer waren Josef Hoffmann und Franz Cisek, die ihr beide eine besondere Begabung attestierten. Aber selbstverständlich werden wir auf unserer Website auf Wojteks fatale Entwicklung zu einer Profiteurin des Nazi-Regimes hinweisen.“
Intendant Markus Hinterhäuser resümiert: „Wir haben uns im Direktorium sehr intensive Gedanken über den Umgang mit dem Logo gemacht. Vergangenheit lässt sich nicht bewältigen, wesentlich ist vielmehr eine offene und aufrichtige Auseinandersetzung mit ihr. Die Ambivalenz und der unappetitliche Opportunismus von Poldi Wojtek sind das eine, im Logo selber von Poldi Wojtek allerdings lässt sich keinerlei Affinität zum Nationalsozialismus oder zu dessen Ästhetik erkennen. Obwohl in den 1920er Jahren entstanden und durchaus der Ästhetik dieser Jahre verpflichtet, ist es ein zeitloses Emblem geblieben.“
Resümee Gutachten Oliver Rathkolb
Poldi Wojtek war bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 und dem Verbot der NSDAP in Österreich im Juni 1933 eine anerkannte junge Künstlerin in Salzburg. Sie arbeitete schon vor ihrem Erfolg mit dem Festspielplakat 1928 an großen Projekten in Salzburg mit – etwa an den Fresken im Festspielhaus – und gehörte zum Umfeld von Künstlern wie Anton Faistauer und Anton Kolig.
Poldi Wojteks Festspiellogo wurde nach dem „Anschluss“ 1938 nicht mehr verwendet – zu stark war die Erinnerung an die Ära Max Reinhardts und die intellektuelle Moderne. Aber als „entartet“ – das heißt ideologisch verfemt – galten Wojteks Grafiken deswegen nicht. Ab 1945 wurde das Emblem wieder als Logo eingesetzt.
Den Wettbewerb um ein Plakat für die Salzburger Festspiele hat sie 1928 – obwohl nicht Erstgereihte der Jury der Kunstgewerbeschule in Wien – mit ihrem an zweiter Stelle gereihten Entwurf für sich entschieden. Im Hintergrund hatte ihr Freund und späterer Ehemann, der Kunsthistoriker und Pressemitarbeiter des Österreichischen Propagandabüros, Kajetan Mühlmann, erfolgreich Regie geführt. Mühlmann erledigte damals die Pressearbeit für die Salzburger Festspielhaus-Gemeinde, die zu 50 Prozent an dieser Werbeagentur beteiligt war.
Poldi Wojteks Nähe zu nationalsozialistischen Auftraggebern und ihre Mitwirkung an NS-Propagandaarbeiten entstanden aufgrund der privaten Beziehung zu Mühlmann. Durch seine Kontakte mit dem nationalsozialistischen Innenminister und Kurzzeitbundeskanzler sowie Reichsstatthalter Arthur Seyß-Inquart während des „Anschlusses“ 1938 in Wien stieg Mühlmann in den innersten Zirkel der Entscheidungsträger der NSDAP auf und wurde Staatssekretär, zuständig für Kunstfragen, sowie „Görings europaweiter Kunsträuber“. Er förderte zumindest indirekt mit seinem Namen und seinen Netzwerken bis zur Scheidung von Poldi Wojtek 1943 deren künstlerische Karriere, wie er es auch vor 1938 getan hatte.
Wojteks ideologischer Leistungsnachweis in ihrem „Personal-Fragebogen zum Antragschein auf Ausstellung einer vorläufigen Mitgliedskarte und zur Feststellung der Mitgliedschaft im Lande Österreich“ bei der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei vom 30. Juni 1938 ist die von ihr beigesteuerte Illustration der Hitler-Biografie für Kinder Eine wahre Geschichte von Karl Springenschmid, einem ideologisch höchst aktiven nationalsozialistischen Lehrer (anonym erschienen 1936).
Bezüglich des Naheverhältnisses von Poldi Wojtek zur NS-Ideologie ist – neben ihren immer wieder oberflächlichen Illustrationen von NS-Propaganda oder NS-Symbolik bereits vor 1938 – vor allem der aktiv betriebene Entzug und der Erwerb des Hauses der verfolgten jüdischen Malerin Helene von Taussig in Anif hervorzuheben. Wojtek nützte die Kontakte ihres Mannes Kajetan Mühlmann und ihres Vaters – ein ehemaliger hoher Landesbeamter im Baubereich – schamlos aus, um das Haus an sich zu reißen. Ihr Vater schenkte ihr das „arisierte“ Haus 1943. Mühlmann hatte sich erfolgreich eingeschaltet, um die „Arisierung“ auch gegen starke NS-Konkurrenz und das Kriegsbedingte Verkaufsverbot durchzusetzen. Poldi Wojtek selbst intervenierte ebenfalls mehrmals bei höchsten NSDAP-Funktionären in Salzburg.
1952 gründete Poldi Wojtek gemeinsam mit ihrem neuen Lebensgefährten Karl Schatzer – sie ließ sich 1943 von Mühlmann scheiden, der seit 1939 eine zweite Familie hatte – eine Keramik-Lehrwerkstätte. Bei der Suche nach einem Atelier wurde sie von Landeshauptmann Josef Klaus unterstützt und erhielt nach einem gescheiterten Versuch beim Salzburger Kunstverein ein neues Atelier gemeinsam mit dem akademischen Maler Karl Schatzer in einem neuen Kulturzentrum in der Residenz. 1978 ist Poldi Wojtek, mehrfach ausgezeichnet, verstorben.
Resümee Gutachten Anita Kern
Aus designhistorischer Sicht ist Poldi Wojteks Logo kein klassisches Logo. Es war ein Plakat, das zum Logo umfunktioniert wurde, bestehend aus fünf verschiedenen visuellen Elementen und einem Schriftzug. Es ist ein zeittypisches grafisches Produkt: Es zeichnet sich durch konstruktive Strenge aus, verweist aber noch auf die Wiener Flächenkunst um 1900.
Poldi Wojtek war in den 1920er-Jahren grafisch und zeichnerisch auf der Höhe der Zeit, vertrat dabei aber – angesichts der zahlreichen avantgardistischen Bewegungen der Zeit – eine konservative Position.
Poldi Wojtek ist durch die Freundschaft und spätere Ehe mit dem NS-Kunstfunktionär Kajetan Mühlmann zu Aufträgen und öffentlicher Anerkennung gekommen; die gestalterische Legitimation dazu hat sie sich unabhängig davon erworben. Bereits zu Beginn ihrer Studienzeit 1922 werden ihre Entwürfe zu Titelbildern von Kinderbüchern (Reihe der Sesam-Bücher). Ihre Lehrer an der Kunstgewerbeschule, die Jugendstil-Größen Josef Hoffmann und Adolf Boehm sowie der Kunsterziehungspionier Franz Cizek, attestieren Wojtek „sehr gute zeichnerische Begabung“, „Phantasie“ und „Talent“. Bisher nicht aufgefunden werden konnten Werke Wojteks, die in der zeitgenössischen Presse erwähnt werden: Als der Sonderbund österreichischer Künstler in Salzburg, dessen Präsident Anton Faistauer war, im August 1925 unter anderen Werke von Clemens Holzmeister und Peter Behrens ausstellt, „erregt die erst 22jährige Poldi Wojtek mit ihren Kostümstudien und Tapetenentwürfen Aufmerksamkeit.“
Poldi Wojtek ist – setzt man die Fakten zu einem Bild zusammen – nicht „vereinnahmt“ oder „instrumentalisiert“ worden, sie agierte mit ihren politischen Illustrationen aktiv für die NS-Ideologie. Je näher sie in den Einflussbereich von Kajetan Mühlmann kam und je politischer die Aufträge wurden, desto mehr büßte sie von ihrer gestalterischen Frische ein und desto konservativer, ungelenker, wurden ihre Zeichnungen, wie anhand der Illustrationen des Hitler-Biografie-Kinderbuchs Eine wahre Geschichtevon 1936 zu erkennen ist. Verschwunden ist der souveräne, lockere zeichnerische Stil der Wojtek der 1920er-Jahre.
Das Logo für die Salzburger Festspiele ist fast ein Jahrzehnt davor (1928) entstanden und hat – unabhängig von der Biografie der Gestalterin – fast ein Jahrhundert gewirkt.
Kurzbiografien
Anita Kern
Mag. art., Dr. phil., Grafikdesignerin und Kulturwissenschaftlerin, Universitätslektorin für Grafikdesigngeschichte an der Universität für angewandte Kunst
Anita Kern führt das Kommunikationsdesign-Büro Kerndesign. Sie gestaltet Bücher, kuratiert Ausstellungen und publiziert über Designgeschichte, u.a. „Österreichisches Grafikdesign im 20. Jahrhundert“ (2008), „Grafikdesign von der Wiener Moderne bis heute. Von Kolo Moser bis Stefan Sagmeister“ (2010), „Ikonen und Eintagsfliegen. Arthur Zelger und das Grafikdesign in Tirol“ (2014). Anita Kern lehrt an der Universität für angewandte Kunst Wien am Institut für Design und an der Donau-Universität Krems. Sie studierte Grafikdesign bei Kurt Schwarz und Tino Erben sowie Werbung bei Walter Lürzer. Ihr Doktoratsstudium der Kultur- und Geistesgeschichte absolvierte sie bei Manfred Wagner (alle Hochschule bzw. Universität für angewandte Kunst in Wien). Sie ist Mitglied bei designaustria (Leitung Expertscluster Designgeschichte) und der Typographischen Gesellschaft Austria.
Oliver Rathkolb
Univ.-Prof. am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien und Institutsvorstand sowie Mitglied des Senats der Universität Wien
Oliver Rathkolb ist Autor, Herausgeber und Mitherausgeber zahlreicher Publikationen zu Themen der österreichischen Zeit-, Kultur- und Mediengeschichte sowie Herausgeber der Fachzeitschrift „zeitgeschichte“ und der Reihe „Zeitgeschichte im Kontext“. Er wurde 2005 mit dem Donauland-Sachbuchpreis Danubius und dem Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch („Die paradoxe Republik. Österreich 1945–2005“, Zsolnay Verlag) ausgezeichnet. Oliver Rathkolb ist Vorsitzender des internationalen wissenschaftlichen Beirats des Hauses der Europäischen Geschichte (Europäisches Parlament, Brüssel) und des wissenschaftlichen Beirats des Hauses der Geschichte Österreich sowie Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Jüdischen Museums Wien. Sein jüngstes Buch „Schirach. Eine Generation zwischen Goethe und Hitler“ wurde im Oktober 2020 veröffentlicht.